
Der Klimawandel stellt die Energiesysteme im Nahen Osten und Nordafrika vor Herausforderungen
Der Nahe Osten und Nordafrika (MENA) gehören zu den Regionen der Welt, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Dies stellt eine Herausforderung für die Energiesysteme dar, die bereits jetzt überfordert sind, den Anforderungen an Wirtschaftswachstum, Energiesicherheit und soziales Wohlergehen gerecht zu werden.
Zwischen 1980 und 2022 stiegen die Temperaturen in der MENA-Region um 0,46 °C pro Jahrzehnt und lagen damit deutlich über dem weltweiten Durchschnitt von 0,18 °C. Auch die Niederschlagsmuster haben sich deutlich verändert, was die bestehende Wasserknappheit in einigen MENA-Ländern verschärfte. Dürren führten 2022 in Marokko und 2023 in Tunesien zu Dürren, während es 2022 in den Vereinigten Arabischen Emiraten, im Iran, in Saudi-Arabien, in Katar, im Oman und im Jemen zu schweren Überschwemmungen kam.
Diese Klimaereignisse wirken sich auf Menschen, Wirtschaft und Energiesysteme aus. In Marokko beispielsweise haben höhere Temperaturen den Strombedarf für die Kühlung erhöht und damit das ohnehin überlastete Stromnetz zusätzlich belastet. Um der steigenden Spitzennachfrage gerecht zu werden, erreichten Marokkos Stromimporte aus Spanien im Mai 2022 ein Rekordniveau.
Während die Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien ausgebaut wird, um den steigenden Strombedarf zu decken und die Emissionsreduktionsziele zu erreichen, müssen die Energiesysteme der Region gleichzeitig klimaresistenter gestaltet werden, um den erwarteten zunehmenden Klimaauswirkungen standzuhalten. Vor diesem Hintergrund hat die Internationale Energieagentur (IEA) gemeinsam mit regionalen Partnern (Ägypten, Marokko und Oman) ihre erste Klimagefahren- und -expositionsbewertung für die MENA-Region durchgeführt. Diese basiert auf neuesten Klimamodellen und GIS-Analysen (Graphical Information System).
Die Diversifizierung des Energiemixes durch mehr erneuerbare Energien ist eine langfristige Antwort auf sinkende Niederschläge und zunehmende Dürren
Sinkende Niederschläge und zunehmende Dürreperioden bereiten dem Energiesektor in einigen MENA-Ländern, insbesondere im südlichen und östlichen Mittelmeerraum, große Sorgen. Die Gesamtniederschlagsmenge im südlichen und östlichen Mittelmeerraum ist im Zeitraum 1980–2022 um rund 8,3 % pro Jahrzehnt zurückgegangen. Prognosen zufolge wird der jährliche Durchschnittsniederschlag in diesen Ländern weiter sinken, während er auf der Arabischen Halbinsel zunimmt.
Die sinkende Wasserverfügbarkeit aufgrund abnehmender Niederschläge in den südlichen und östlichen Mittelmeerländern wird sich voraussichtlich negativ auf fossil befeuerte Wärmekraftwerke auswirken, die 91 % ihrer Stromerzeugung erbringen und zur Kühlung auf Süßwasser angewiesen sind.
Allen Klimaszenarien zufolge werden über 90 % der fossil befeuerten Wärmekraftwerke im südlichen und östlichen Mittelmeerraum im kommenden Jahrzehnt von einem trockeneren Klima betroffen sein, wobei der Grad der Trockenheit je nach Anlage und Szenario variieren kann. Werden die globalen Treibhausgasemissionen nicht reduziert und die fossil befeuerten Wärmekraftwerke in der Region weiter betrieben, könnten rund 32 % der Kohlekraftwerke, 15 % der Gaskraftwerke und 9 % der Ölkraftwerke von einem „deutlich“ trockeneren Klima betroffen sein, was noch größere Auswirkungen auf die Kühlwasserverfügbarkeit hätte. Diese Werte liegen über dem weltweiten Durchschnitt und über denen der Nachbarländer der Arabischen Halbinsel, die ein etwas feuchteres Klima erleben würden.

Niederschlagsänderungen im Nahen Osten und Nordafrika im Szenario SSP2-4.5, 2081-2100
Hinweise: SSP2-4.5 ist ein Emissionsszenario, das im Sechsten Sachstandsbericht des IPCC (AR6) berücksichtigt wurde. Es steht im Einklang mit der Obergrenze der aggregierten NDC-Emissionsniveaus bis 2030 und ist mit einer geschätzten globalen Erwärmung von etwa 3 °C für 2100 verbunden. Der standardisierte Niederschlagsindex vergleicht die kumulierten Niederschläge eines bestimmten Zeitraums (in diesem Fall 6 Monate) mit der langfristigen Niederschlagsverteilung für den gleichen Ort und Zeitraum. Es handelt sich um einen wissenschaftlichen Indikator, der im IPCC AR6 zur Erkennung und Charakterisierung meteorologischer Dürren verwendet wird. Etwa ein Drittel der mit fossilen Brennstoffen betriebenen Kraftwerke im Nahen Osten und Nordafrika befinden sich im südlichen und östlichen Mittelmeerraum, der Rest auf der Arabischen Halbinsel. Auf der Karte werden nur Kraftwerke mit einer installierten Leistung von über 100 MW angezeigt.
Einige Mittelmeerländer haben bereits Anstrengungen unternommen, ihren Kühlwasserbedarf zu senken und alternative Wasserquellen zu erschließen. Marokko ersetzt seine Kohlekraftwerke schrittweise durch Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke, die weniger Kühlwasser benötigen. Ägypten hat wassersparendere Lösungen zur Kühlung neuer Gaskraftwerke eingeführt (z. B. ein Luftkühlsystem für das 4,8-GW-Kraftwerk New Capital) und seine Abhängigkeit von Süßwasser durch die Nutzung von Meerwasser für das 4,8-GW-Kraftwerk El Burullus reduziert.
Obwohl diese Optionen den Wasserstress kurzfristig reduzieren könnten, ist die einzige dauerhafte Lösung die Umstellung auf saubere Energie in der Region und weltweit. Werden die globalen Treibhausgasemissionen aus fossil befeuerten Wärmekraftwerken nicht reduziert, wird der Klimawandel die Wasserknappheit weiter vorantreiben und damit die regionalen Kraftwerke vor weitere Herausforderungen stellen.

Einige Technologien für erneuerbare Energien wie Photovoltaik und Windkraftanlagen sind widerstandsfähiger gegenüber trockenerem Klima, da sie für ihren Betrieb wenig oder gar kein Wasser benötigen. Zudem könnten ihre geringeren Treibhausgasemissionen zu einem positiven Kreislauf beitragen, der den Klimawandel abmildert und somit Verschiebungen in den Niederschlagsmustern eindämmt. Einige Länder des südlichen und östlichen Mittelmeerraums haben sich ehrgeizige Ziele für den Ausbau ihrer Solar- und Windkraftkapazitäten gesetzt und unterstützen damit die weltweiten Bemühungen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Marokko beispielsweise will den Anteil der Solarenergie an der Stromerzeugung von 1 % im Jahr 2020 auf 20 % bis 2030 und den der Windenergie von 12,2 % auf 20 % steigern. Diese Steigerungen sollen die Widerstandsfähigkeit des Stromsystems stärken, indem sie den prognostizierten Rückgang der Wasser- und Kohlekraftwerkskapazitäten aufgrund zunehmender Wasserknappheit ausgleichen.
Steigende Temperaturen und extreme Hitzeereignisse werfen zusätzliche Fragen hinsichtlich der Belastbarkeit des Energiesystems in der Region auf. Im Vergleich zur vorindustriellen Zeit (1850–1900) könnten die Temperaturen in der MENA-Region zwischen 2081 und 2100 in einem emissionsarmen Szenario um 2,5 °C und in einem emissionsreichen Szenario um rund 6,4 °C steigen – in beiden Fällen über dem globalen Durchschnitt. Häufigere extreme Hitzeereignisse stellen eine doppelte Herausforderung dar, da sie den Energiebedarf für die Kühlung erhöhen und gleichzeitig die Effizienz von Kraftwerken verringern.
In den letzten vier Jahrzehnten (1980–2022) hat die Zahl der Kühlgradtage (CDD)3 in der MENA-Region um 0,6 % pro Jahr zugenommen. Dieser Trend wird sich voraussichtlich fortsetzen und die durchschnittlichen jährlichen CDD im Zeitraum 2081–2100 im Vergleich zur vorindustriellen Zeit (1850–1900) in einem Szenario mit niedrigen Emissionen um über 30 und in einem Szenario mit hohen Emissionen um rund 1.400 ansteigen lassen. Diese prognostizierten höheren Sommertemperaturen werden voraussichtlich einen deutlichen Anstieg des Spitzenstrombedarfs im Sommer aufgrund einer stärkeren Nutzung von Klimaanlagen auslösen. In Oman ist der Spitzenstrombedarf von 6.060 MW im Jahr 2015 auf 7.081 MW im Jahr 2021 gestiegen, was einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von etwa 3 % entspricht, was größtenteils auf die stärkere Nutzung von Klimaanlagen zurückzuführen ist. Bis 2027 wird der Spitzenstrombedarf in Oman voraussichtlich weiterhin um etwa 4 % pro Jahr steigen.
Da höhere Temperaturen den Spitzenstrombedarf erhöhen, verringern sie auch die Effizienz der Stromerzeugung und der Netze und belasten die Stromversorgung zusätzlich. Die Leistung von Gaskraftwerken, die in der Region den größten Anteil an der Stromerzeugung (74 %) haben, kann durch einen wärmeren Luftmassenstrom, der in den Gasturbinenkompressor eintritt, beeinträchtigt werden. Nach Schätzung der IEA sind im Zeitraum 2081–2100 bei über 80 % der installierten Kapazität von Gaskraftwerken in der Region in einem Niedrigemissionsszenario jährlich mehr als 20 zusätzliche Hitzetage (mit Höchsttemperaturen über 35 °C) zu erwarten, bei einem Hochemissionsszenario sogar mehr als 60 zusätzliche Hitzetage; beides sind erheblich mehr als der weltweite Durchschnitt. Auf der Arabischen Halbinsel könnte das Belastungsniveau sogar noch höher ausfallen und rund 90 % der installierten Gaskapazität erreichen.
Auch wichtige Technologien für saubere Energie können durch eine erhöhte Häufigkeit und Intensität extremer Hitzeereignisse negativ beeinflusst werden. Die Stromerzeugung aus Photovoltaik und Windkraft ist in der Regel für Temperaturen um die 25 °C ausgelegt und verliert bei Hitzewellen an Effizienz. Steigende Temperaturen führen zudem dazu, dass sich Stromleitungen erhitzen, ausdehnen oder durchhängen, was die Übertragungskapazität reduziert und zu höheren Verlusten führt. Nach Einschätzung der IEA würde der Großteil der installierten Photovoltaikkapazität in der Region in einem emissionsarmen Szenario einen jährlichen Anstieg von mehr als 20 Hitzetagen verzeichnen, in einem emissionsreichen Szenario von über 40 Tagen. Ebenso könnten 90 % der Windkraftanlagen in einem emissionsreichen Szenario einem Anstieg von 40 Hitzetagen pro Jahr ausgesetzt sein, obwohl diese Belastung in einem emissionsarmen Szenario deutlich sinken könnte (45 % der installierten Kapazität wären einem Anstieg von mehr als 20 Tagen ausgesetzt).
Um der erwarteten Zunahme extremer Hitzeereignisse standzuhalten, müssen Energieversorger robustere Windkraftanlagen und innovative Kühltechnologien für Photovoltaikanlagen entwickeln. Regierungen und Verbraucher müssen zudem die Energieeffizienz von Kühlgeräten verbessern, um den gestiegenen Stromspitzenbedarf zu bewältigen.
Eine klimaresiliente Energiewende bietet Lösungen für drei wichtige, sich überschneidende Ziele: saubere Energie, Energiesicherheit und Anpassung an den Klimawandel. Klimaresiliente Technologien stehen im Einklang mit den Emissionsreduktionsplänen der Region, die den weiteren Ausbau von Photovoltaik und Windkraft vorantreiben. Diese Diversifizierung der Energiequellen trägt zur Energiesicherheit bei, indem sie die Bereitschaft und Widerstandsfähigkeit gegenüber klimabedingten Störungen erhöht. Darüber hinaus ermöglicht sie eine verstärkte Nutzung von Anpassungsmaßnahmen zur Bewältigung extremer Wetterereignisse, wie beispielsweise Klimaanlagen und Gesundheitsversorgung während Hitzewellen.
Um die laufenden und zukünftigen Bemühungen um eine klimaresiliente Energiewende in der Region zu unterstützen, veröffentlicht die IEA eine Reihe von Länderberichten zur Klimaresilienz für Energiewenden in Ägypten, Marokko und Oman. Diese Berichte bieten maßgeschneiderte Bewertungen verschiedener Klimagefahren für die Energiesysteme dieser drei Länder und diskutieren, wie bestehende politische Maßnahmen weiter verbessert werden können. Um die wichtigsten Ergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, veranstaltet die IEA im Juli in Zusammenarbeit mit den Regierungen Ägyptens, Marokkos und Omans eine Hybridveranstaltung.
Veröffentlichungszeit: 15. Juli 2023